Offener Brief zur Qualifizierung des Personals im Bereich der frühen sprachlichen Förderung (11.12.2015)
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass im Bereich der frühen sprachlichen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen nach wie vor Personen in der Sprachbildung Sprachförderung) tätig sind, die über keinerlei relevante Aus- oder Fortbildung bezüglich Spracherwerb, Mehrsprachigkeit, Sprachförderung und Pädagogik im Elementarbereich verfügen.
Wie bereits in der Stellungnahme des Österreichischen Verbandes für DaF/DaZ vom März 2015 möchten wir hiermit noch einmal unterstreichen, dass Sprachaneignung in mehrsprachigen Kontexten ein hochkomplexer Prozess ist, der bei Kindern aufgrund der verschiedenen Voraussetzungen sehr unterschiedlich verlaufen kann. Hinzu kommt, dass der Erwerb einer Zweitsprache, wie sie Deutsch für eine zunehmende Zahl an Kindern in Österreich darstellt, weit über die Vor- und Volksschulzeit hinaus andauert. Dass in der politischen Diskussion immer wieder entscheidende Fragen des weiteren Bildungsverlaufs (Androhung segregierter Sprachfördergruppen, Überprüfung der Schulreife, Zuweisung zu Sonderschulen) mit frühkindlicher Sprachfähigkeit verknüpft werden und zugleich in diesem Bereich tätige Personen häufig über keine fundierte Qualifizierung verfügen, um geeignete und individualisierte Förderpläne erstellen und umsetzen zu können, ist aus unserer Perspektive in hohem Maße fahrlässig.
Im Bereich der Elementarpädagogik ist das zweite Kindergartenjahr nur für jene Kinder verpflichtend, die Entwicklungsrückstände aufweisen, zu denen auch Defizite in Deutsch gezählt werden. Spracherwerb mehrsprachiger Kinder weist jedoch andere Spezifika auf als jener einsprachiger Kinder. Ein Konzept, das ausschließlich auf die Kompetenz in einer einzigen von mehreren Sprachen abzielt und etwaige Defizite in dieser mit Entwicklungsrückständen gleichsetzt, zeugt von mangelnder Expertise und ist zudem diskriminierend gegenüber mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass im Reformpapier jegliche Konzepte für Mehrsprachigkeitsförderung fehlen.
Das Recht mehrsprachiger Kinder auf sprachliche Bildung in der Unterrichtssprache Deutsch wie auch in ihren Familiensprachen reicht von elementarpädagogischen Einrichtungen, die wir als Bildungseinrichtungen verstehen, bis hin zu höheren Schulen, die zur Universitätsreife führen. Dokumentierte Sprachstandsfeststellungen hingegen sind für sich genommen keine Fördermaßnahmen und machen ohne qualitätsgesicherte durchgängige Sprachförderkonzepte keinen Sinn, sondern führen zu Diskriminierung.
Entsprechend fordern wir eine verbindliche (Mindest-)Qualifikation für im Bereich der frühen sprachlichen Förderung tätige Personen und verbindliche Fortbildungen mit spezifisch sprachlichen Inhalten. Unter (Mindest-)Qualifikation verstehen wir die Lehrgänge ‚Frühe Sprachförderung’ an den Pädagogischen Hochschulen. Als unbedingt anzustreben erachten wir die Verortung der Ausbildung für ElementarpädagogInnen auf Hochschulniveau angesichts der nicht nur in Bezug auf Sprachförderung gegebenen Herausforderungen.
ElementarpädagogInnen wie in der Sprachbildung tätige Personen benötigen eine Qualifikation im Bereich Spracherwerb, Sprachförderung und Mehrsprachigkeit, damit Sprachstandsfeststellungen nicht zu den oben aufgezeigten diskriminierenden Praktiken führen, sondern im Sinne aller Kinder mit Mehrsprachigkeit berücksichtigenden Sprachfördermaßnahmen verknüpft werden können, die im Sinne der Qualitätssicherung zu evaluieren sind.
Als Fachverbände sind wir mit den Expertinnen und Experten des Feldes sehr gut vernetzt. Wenn Sie auf unsere Expertise zurückgreifen möchten, können wir und können Ihnen gerne Fachleute empfehlen. Gerne stehen wir Ihnen für Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Der ÖDaF-Vorstand sowie die Mitglieder des Netzwerks SprachenRechte.