Stellungnahme zum Gesetzesentwurf über die frühe sprachliche Förderung (18.3.2015)
Finanzen
Der ÖDaF begrüßt grundsätzlich die Fortsetzung der 15a-Vereinbarung zur sprachlichen Frühförderung und deren finanzielle Aufwertung. Kritisch zu sehen ist, dass ein Teil der hier aufgebrachten Mittel nun beim Ausbau der Kinderbetreuung fehlt und, angesichts dessen, dass die Mittel auch jetzt noch im Vergleich zum Gesamtbedarf niedrig sind, der Ko-Finanzierungsanteil durch die Länder von 50% auf ein Drittel abgesenkt wurde.
Qualifizierung des Personals
Auch sind die schon in der Vereinbarung 2012 avisierten Maßnahmen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der PädagogInnen und Lehrenden im Bereich der Sprachstandsfeststellung und der frühen sprachlichen Förderung, sowie zur Weiterentwicklung von Curricula für ein einheitliches Qualifizierungsmodell für die spezielle Aus-, Fort- und Weiterbildung der Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen im Bereich der Sprachstandsfeststellung und der frühen sprachlichen Förderung (vgl. Art. 3 Z(2) Abs. 2+3) zu begrüßen.
Jedoch ist zu konstatieren, dass viele dieser Punkte entweder nicht oder nur in Ansätzen umgesetzt wurden. Es sind hier bis jetzt weder ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt noch jene strukturellen Voraussetzungen geschaffen worden, die dazu geeignet wären, PädagogInnen und Lehrende im erforderlichen Maß zu qualifizieren.
Insbesondere ist hier anzumerken, dass die von ExpertInnen aber auch von vielen Betroffenen geforderte Akademisierung der Ausbildung von KindergartenpädagogInnen nach wie vor aussteht. Die Ergebnisse aus der Zweitsprachenerwerbsforschung zeigen, dass Sprachaneignung ein hochkomplexer Prozess ist, der bei Kindern aufgrund der verschiedenen Voraussetzungen sehr unterschiedlich verlaufen kann. Daher benötigt es auch entsprechende Qualifizierungen, um geeignete und individualisierte Förderpläne erstellen und umsetzen zu können. Dies ist bei den PädagogInnen sowohl in den Kinderbetreuungseinrichtungen als auch in den Schulen großteils nicht einmal ansatzweise gegeben.
Mehrsprachigkeit
Überaus problematisch ist auch zu sehen, dass für jenes Personal, das Sprachförderung bzw. Sprachstandsfeststellungen durchzuführen hat, nicht einmal Mindestqualifikationen definiert sind. Dies bedeutet, dass de facto auch KindergartenpädagogInnen Sprachfördermaßnahmen durchführen können, ohne im Zuge der eigenen Ausbildung jemals dafür qualifiziert worden zu sein.
Es ist zu begrüßen, dass nun auch für Maßnahmen, die die Förderung der Erstsprache zum Ziel haben, Mittel zur Verfügung gestellt werden. Eine gefestigte Erstsprache bringt gute Voraussetzungen für den Erwerb weiterer Sprachen. Dies setzt jedoch den Einsatz von mehrsprachigem Personal und eine gezielte Förderung der Erstsprachen voraus. Allerdings können nur 25% des Zuschusses für Förderungen dieser Art inklusive der Förderungen aller anderen Entwicklungsprozesse verwendet werden. Die Deckelung ist in diesem zentralen Bereich nicht nachvollziehbar und auch nicht sinnvoll.
Nicht explizit erwähnt ist in der Vereinbarung die Förderung von gehörlosen Kindern. Da alle Kinder ein Recht auf sprachliche Bildung haben, wären die Förderung der Gebärdensprache und der Einsatz eines entsprechend qualifizierten Personals in die Vereinbarung aufzunehmen.
Rahmenbedingungen in Kinderbetreuungseinrichtungen/Kindergärten
Eine effiziente Sprachförderung kann nur unter angemessenen Rahmenbedingungen stattfinden. Die notwendige individualisierte Förderung von Kindern ist angesichts der Gruppengrößen und dem derzeitigen PädagogInnen-Kind-Schlüssel völlig unmöglich. Dies ist insbesondere auch unter dem Aspekt zu sehen, dass alleine schon der bürokratische Aufwand zur Beantragung der Förderungen und Abwicklung der Maßnahmen einschließlich des Verfassens von Berichten einen enormen Zeitaufwand benötigt, der personell ebenfalls abzudecken ist.
Gute Rahmenbedingungen inkludieren auch eine angemessene Entlohnung der KindergartenpädagogInnen und des Stützpersonals; die Gehälter bewegen sich derzeit auf einem demotivierenden, weil skandalös niedrigen Niveau.
Fokus auf Kinder mit Migrationshintergrund – Zuständigkeiten
Wie schon bei der vorangehenden 15a-Vereinbarung richtet sich der Fokus sehr stark auf Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache. Es ist jedoch hinlänglich bekannt, dass auch viele Kinder mit deutscher Erstsprache Sprachförderbedarf haben. Bis 2012 war die Sprachförderung beim Bildungsministerium angesiedelt und die Evaluierung wurde vom BIFIE vorgenommen. Auch aus diesen Gründen ist zu fragen, warum die Federführung zur Beurteilung von Konzepten und Schlussberichten beim BMEIA bzw. dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) angesiedelt ist, da diese über keinerlei wahrnehmbare Kompetenzen verfügen, um Maßnahmen zur Sprachförderung steuern, wissenschaftlich gut begleiten und evaluieren zu können. Zudem ist es hochproblematisch, wenn der ÖIF als vom BMEIA direkt abhängiger Fonds die Maßnahmen seiner vorgesetzten Behörde evaluiert. Es ist daher eine externe, unabhängige Einrichtung, die im Rahmen der Bildungsforschung eine entsprechende Expertise vorweisen kann, besonders mit der qualitativen Evaluierung der Maßnahmen zu beauftragen. Es ist völlig unverständlich, warum die Maßnahmen der letzten drei Jahre nur in Hinblick auf die Anzahl der Kinder mit Sprachförderbedarf ausgewertet wurden, nicht jedoch auf die Wirksamkeit der pädagogischen Interventionen.
Laut Vereinbarung können Projekte, die die Schnittstelle Kindergarten-Volksschule im Blick haben, ebenfalls gefördert werden (max. 25% des Zuschusses). Es werden jedoch keine verbindlichen Regelungen für die Nahtstelle getroffen, obwohl diese dringend notwendig wären. Zudem hat die Forschung aufgezeigt, dass sprachliche Bildung nur dann zum Ziel kommt, wenn sie langfristig ausgerichtet ist und durchgängig erfolgt. In der Regel wird hierfür ein Zeitraum von etwa sechs Jahren angenommen. Entsprechende Fördermaßnahmen dürfen daher nicht nur bis zum Ende des Kindergartens reichen, sondern müssen kontinuierlich geplant und fortgesetzt werden.
Da die sprachliche Bildung daher als übergreifendes bildungspolitisches Thema zu begreifen ist, ist eine Ansiedelung der Zuständigkeiten im Bildungsministerium
logisch und wünschenswert.
Sprachstandsverfahren
In der Stellungnahme zur 15a-Vereinbarung aus dem Jahr 2012 des Netzwerks Sprachenrechte, in dem viele ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis versammelt sind, wurde bereits festgehalten, dass „kein Instrument zur Einschätzung des so genannten Sprachstandes eine ‚eindeutige Aussage über den allfälligen Bedarf an früher Sprachförderung’ (Artikel 2, Abs 6) treffen“.
Diagnosetools seien nie zu hundert Prozent treffsicher, die können allenfalls Tendenzen aufzeigen. Warum fachlich widersinnige Formulierungen dieser Art, die falsche Schlüsse und Erwartungen zulassen, nach wie vor im Gesetzestext auftauchen, ist unter diesem Aspekt nicht nachvollziehbar.
In einer Studie der deutschen Mercator-Stiftung wurde eine Analyse und Bewertung von in Deutschland gebräuchlichen Sprachstandsverfahren im Elementarbereich vorgenommen1. Die Ergebnisse der Studie zeigen u.a. die Notwendigkeit auf, Sprachstandsverfahren auf ein einheitlich hohes Niveau zu heben und bundesweit einheitliche Verfahren einzusetzen. Nur dies gewährleistet eine Vergleichbarkeit der Resultate und Chancengleichheit für jedes Kind auf eine bedarfsgerechte Sprachförderung. Diese Empfehlungen wären auch für Österreich anzuwenden.
Der ÖDaF-Vorstand
Mag.a Nicola Kraml (Präsidentin)
Dr. Hannes Schweiger (Vizepräsident)
Mag. Denis Weger (Kassier)
Mag.a Nicole Kroiß (Kassierstellvertreterin)
Mag.a Andrea Stangl (Schriftführerin)
Dr.in Doris Reininger (Schriftführerinstellvertreterin)
Download der pdf-Version dieser Stellungnahme
1Neugebauer, Uwe; Becker-Mrotzek, Michael (2013): Die Qualität von Sprachstandserverfahren im Elementarbereich – Eine Analyse und Bewertung. Köln: Mercator-Institut für Sprach- Förderung und Deutsch als Zweitsprache. Unter: http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/user_upload/Mercator-Institut_Qualitaet_Sprachstandsverfahren_Web_03.pdf