"Deutschförderklassen" - und viele Fragen offen Stellungnahme des Österreichischen Verbands für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache (ÖDaF)
Als Fachverband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache begrüßen wir grundsätzlich, dass sich der neue Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Heinz Faßmann, offensiv des Themas Sprachliche Bildung in der Schule und insbesondere der Vermittlung der Bildungssprache Deutsch annimmt. Die in der Pressekonferenz am 22. Jänner 2018 präsentierte Maßnahme zur Einrichtung von "Deutschförderklassen" lässt allerdings viele Fragen offen. Welche Tests werden für die Sprachstandserhebung herangezogen? Was sind "ausreichende Deutschkenntnisse"? Wie werden auf der Basis der Sprachstandserhebungen Fördermaßnahmen abgeleitet? Welche Qualifikationen brauchen nach Ansicht des Bildungsministers Lehrkräfte, die in diesen "Deutschförderklassen" unterrichten sollen? Welche Schritte sind geplant, um Lehrpersonen, die entsprechende Sprachstandserhebungen und den Unterricht in "Deutschförderklassen" durchführen sollen, angemessen zu qualifizieren und in den dafür notwendigen Kompetenzen aus- und weiterzubilden? Wie werden die "Deutschförderklassen" administriert? Was bedeuten sie für die räumliche Situation an den Schulen?
Zudem fehlt ein Gesamtkonzept, das wir für schulische Bildung unter migrationsgesellschaftlichen Voraussetzungen dringend benötigen. Daher ist es uns vor weiteren bildungspolitischen Entscheidungen der neuen Regierung ein Anliegen, darauf zu verweisen, dass Erfahrungen aus der Praxis, erfolgreiche Konzepte in anderen Ländern und die Ergebnisse nationaler und internationaler Forschung Folgendes zeigen:
- Wir brauchen eine integrative Deutschförderung, die durch vorübergehende additive Fördermaßnahmen ergänzt wird. Ziel muss es sein, dass Kinder und Jugendliche so schnell wie möglich am Regelunterricht teilnehmen können. Fördermaßnahmen dürfen nicht segregierend wirken und das Zusammenleben in der Schule dadurch gefährden und sie dürfen durch einen Ausschluss vom Regelunterricht keine Benachteiligung in Bezug auf die Aneignung anderer Bildungsinhalte darstellen. Auch sollten sie Schülerinnen und Schülern angesichts der Bedeutung von Bildungssprache für den Bildungserfolg die Möglichkeiten zum bildungssprachlichen Handeln im Regelunterricht aller Fächer nicht vorenthalten. Die Verschränkung von Sprach- und Fachlernen ist von zentraler Bedeutung für die Aneignung bildungssprachlicher Kompetenzen.
- Wir brauchen Sprachfördermaßnahmen, die der Tatsache gerecht werden, dass die Aneignung und Weiterentwicklung der Bildungssprache Deutsch in einem langjährigen Prozess erfolgt. Eine vorübergehende intensive und größtenteils additive Sprachförderung vor Schuleintritt ist nicht ausreichend.
- Wir brauchen viel mehr qualifizierte Lehrkräfte, die den individuellen Sprachlernbedarf einer Schülerin oder eines Schülers mit angemessenen Instrumenten erheben und die Sprachförderung darauf abstimmen können. Daher ist der Ausbau der fachlich fundierten Fort- und Weiterbildung sowie die Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel dringend geboten.
- Wir brauchen eine stärkere Verankerung von Deutsch als Zweitsprache sowie von Kompetenzen für eine produktive Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit in der Ausbildung von Elementarpädagoginnen und -pädagogen sowie von Lehramtsstudierenden aller Fächer und Schulstufen, vom Deutschunterricht über den Mathematik- und Chemieunterricht bis zu Sport und Bildnerischer Erziehung, vom Kindergarten über die Primarstufe bis zur Sekundarstufe II. Diese Bereiche sind für alle Lehrkräfte wichtig und grundlegend, damit die Aneignung der Bildungssprache Deutsch im Sinne des Konzepts einer durchgängigen sprachlichen Bildung in allen Unterrichtsgegenständen zielführend gefördert werden kann und die Lehrkräfte in der bestehenden Situation sinnvoll arbeiten können.
- Wir brauchen ein Bildungskonzept, das sich nicht auf einzelne Fördermaßnahmen beschränkt, sondern der Komplexität von Lehren und Lernen gerecht wird, indem die Verbindung von Sprach- und Fachlernen, die Gestaltung der Nahtstellen zwischen den unterschiedlichen Schultypen, die Qualifizierung von Lehrkräften ebenso wie Schulentwicklung und Elternarbeit berücksichtigt werden. Ein solches umfassendes Bildungskonzept kann sich auch nicht auf Deutschförderung beschränken, sondern muss angesichts der mehrsprachigen Lebenswirklichkeiten von Menschen in Österreich auf ihr gesamtes sprachliches Spektrum Bezug nehmen.
Wir schließen uns den Stellungnahmen von verbal, Netzwerk Sprachenrechte und von Lehrenden und Forschenden des Bereichs Deutsch als Zweitsprache an den Universitäten Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien an und unterstützen deren Forderungen.
Wir verweisen außerdem auf die Thesen von Dénesfa, in denen wir zu sprachen- und migrationspolitischen Fragestellungen im Kontext Deutsch als Zweitsprache Stellung nehmen.
Der ÖDaF-Vorstand
Hannes Schweiger, Sandra Reitbrecht, Lydia Moschinger, Domenica Friedel-Boesch, Carola Schedel, Anna-Katharina Draxl
Wien, am 25. Jänner 2018