Stellungnahme des Österreichischen Verbands für Deutsch als Fremdsprache/ Zweitsprache (ÖDaF) zur Änderung des Schulorganisationsgesetzes, des Schulunterrichtsgesetzes und des Schulpflichtgesetzes 1985 betreffend Deutschförderklassen
- Was wird unter “mangelnder Kenntnis der Unterrichtssprache” genau verstanden? Obwohl bereits mit kommendem Schuljahr Deutschförderklassen eingeführt werden sollen, ist derzeit völlig unklar, welches Sprachniveau als Voraussetzung für die Teilnahme am Unterricht als ordentliche Schülerin bzw. ordentlicher Schüler angenommen wird.
- Mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung werden die bisherigen Maßnahmen zur Sprachförderung (Sprachstartgruppen und Sprachförderkurse) durch Deutschförderklassen ersetzt. Deutschförderklassen und Deutschförderkurse sind allerdings nur für die Volksschule und die Sekundarstufe I vorgesehen. Somit bleibt völlig offen, welche Maßnahmen zur Sprachförderung für die Sekundarstufe II vorgesehen sind. Sprachfördermaßnahmen dürfen nicht auf die Volksschule und die Sekundarstufe I beschränkt werden, da dies zu einer massiven Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Sprachförderbedarf in der Sekundarstufe II führen würde.
- Der Gesetzesentwurf enthält keine Angaben dazu, über welche Qualifikationen Lehrkräfte verfügen müssen, die zur Sprachförderung eingesetzt werden sollen. Damit leistet das Gesetz in seiner vorliegenden Form der Deprofessionalisierung der Sprachförderung Vorschub. Eine Sprachförderung, die auf die individuellen Voraussetzungen und Sprachlernbedarfe abgestimmt ist, erfordert entsprechend hoch qualifizierte Lehrkräfte. Derzeit ist nichts über ein umfassendes Konzept zur Ausbildung bzw. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften bekannt, das für die Sicherstellung einer nachhaltigen und zielführenden Sprachförderung notwendig wäre.
- Wie können die geplanten Deutschförderklassen angesichts der hohen Stundenanzahl integrierend wirken? Die geplanten Deutschförderklassen drohen zur Segregation zu führen. Bestehende Klassenverbände werden dadurch aufgelöst und gemeinsames Lernen, das auch für den Spracherwerb von zentraler Bedeutung ist, wird massiv erschwert.
Auf andere Fragen gibt der Gesetzesentwurf sehr wohl Antworten, allerdings widersprechen diese jenen Vorstellungen eines Gesamtkonzepts für schulische Bildung unter migrationsgesellschaftlichen Voraussetzungen, wie wir es in unserer ersten Stellungnahme als Notwendigkeit dargelegt haben:
- Nationale und internationale Praxis und Forschung haben deutlich gezeigt, dass eine Verschränkung von integrativer und vorübergehend additiver Sprachförderung die besten Ergebnisse bringt und am nachhaltigsten zum Erwerb der Unterrichtssprache führt. Die derzeit vorgesehenen Maßnahmen zur Sprachförderung sind allerdings in erster Linie und nahezu ausschließlich additiv und drohen daher das intendierte Ziel deutlich zu verfehlen.
- Die geplanten Maßnahmen führen zu einer Schlechterstellung von Schülerinnen und Schülern aufgrund ihrer mangelnden Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch. Damit werden ihre sonstigen Kompetenzen und Erfahrungen und ihre Kompetenzen in anderen Sprachen als Deutsch völlig ignoriert und bleiben ungenutzt.
- Fördermaßnahmen dürfen nicht segregierend wirken und das Zusammenleben in der Schule dadurch gefährden. Auch dürfen sie durch einen Ausschluss vom Regelunterricht keine Benachteiligung in Bezug auf die Aneignung anderer Bildungsinhalte darstellen. Sie sollten Schülerinnen und Schülern angesichts der Bedeutung von Bildungssprache für den Bildungserfolg die Möglichkeiten zum bildungssprachlichen Handeln im Regelunterricht aller Fächer nicht vorenthalten. Die Verschränkung von Sprach- und Fachlernen ist von zentraler Bedeutung für die Aneignung bildungssprachlicher Kompetenzen. Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht eine solche Verschränkung jedoch nicht vor.
- Wenn Schülerinnen und Schüler zum Besuch einer Deutschförderklasse für mehr als ein Semester verpflichtet werden, kommt dies einer Rückstufung gleich, da sie dadurch nicht zum Aufsteigen in die nächste Schulstufe berechtigt sein sollen. Sie verlieren damit zumindest ein Jahr. Die geplanten Maßnahmen verstärken somit vorhandene Bildungsbenachteiligung.
- Wir brauchen ein Bildungskonzept, das sich nicht auf einzelne Fördermaßnahmen beschränkt, sondern der Komplexität von Lehren und Lernen gerecht wird, indem die Verbindung von Sprach- und Fachlernen, die Gestaltung der Nahtstellen zwischen den unterschiedlichen Schultypen, die Qualifizierung von Lehrkräften ebenso wie Schulentwicklung und Kooperation mit Eltern berücksichtigt werden. Ein solches umfassendes Bildungskonzept kann sich auch nicht auf Deutschförderung beschränken, sondern muss angesichts der mehrsprachigen Lebenswirklichkeiten von Menschen in Österreich auf ihr gesamtes sprachliches Spektrum Bezug nehmen. Der Gesetzesentwurf berücksichtigt weder die genannte Komplexität des Lehrens und Lernens im schulischen Kontext noch die mehrsprachige Lebenswirklichkeit in Österreich und widerspricht somit einem Gesamtkonzept für sprachliche Bildung im österreichischen Schulsystem.
Wir verweisen auf unsere Stellungnahme vom 25. Jänner 2018 (www.oedaf.at/deutschfoerderklassen) sowie auf die aktuelle Stellungnahme des Arbeitsbereiches Deutsch als Zweitsprache der Universität Wien und schließen uns nachdrücklich den früheren Stellungnahmen von verbal, Netzwerk Sprachenrechte und von Lehrenden und Forschenden des Bereichs Deutsch als Zweitsprache an den Universitäten Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien an.
Mit freundlichen Grüßen,
Der ÖDaF-Vorstand
Hannes Schweiger, Sandra Reitbrecht, Lydia Moschinger, Domenica Friedel-Boesch, Carola Schedel, Anna-Katharina Draxl
Wien, am 12. April 2018